Fragmentierung der Self-Sovereign Identity-Landschaft erschwert die praktische Anwendung - Laut niederländischer Studie zu SSI ist persönliche Datensouveränität noch in weiter Ferne
Eine von INNOPAY und TNO durchgeführte Studie über Self-Sovereign Identity (SSI) in den Niederlanden hat ergeben, dass die SSI-Landschaft sehr zersplittert ist, was es für die relevanten Parteien schwierig macht, eine kritische Masse an Nutzern und Akzeptanzstellen zu erreichen. Dennoch verfügt das niederländische Ökosystem über genügend relevante Initiativen und Organisationen, um eine Rolle bei der Gestaltung von SSI auf europäischer, vielleicht sogar globaler Ebene zu spielen.
In den letzten Jahren hat sich ein neuer Ansatz zu digitaler Identität herausgebildet: Self-Sovereign Identity (SSI). SSI basiert auf dem Grundsatz, dass die Nutzer die Kontrolle über ihre digitale Identität und die damit verbundenen Daten haben. Dies hat potenziell viele Vorteile: neben Prozessoptimierung und Verbesserung der Datenqualität insbesondere Datenminimierung sowie mehr Privatsphäre, mehr Autonomie und mehr Transparenz im digitalen Bereich. Infolgedessen erfährt das Thema SSI erhebliche Aufmerksamkeit und zieht Investitionen an.
In den Niederlanden werden derzeit verschiedene SSI-Initiativen, -Produkte und -Standards von der Regierung, dem Privatsektor und der Wissenschaft entwickelt. Vor diesem Hintergrund hat das niederländische Ministerium für Inneres und Königreichsbeziehungen, INNOPAY und TNO mit der Durchführung einer Studie über die gegenwärtige SSI-Landschaft beauftragt.
Ministeriumssprecher Wouter Welling erklärt: "Als politische Entscheidungsträger für die niederländische digitale Identitätsinfrastruktur glauben wir, dass die Regierung eine aktive Rolle bei der Schaffung von Vertrauen in der digitalen Welt bei Bürgern und Unternehmen spielen sollte. Eine verlässliche Ausgangsidentität ist dafür entscheidend. (…) Wir haben INNOPAY und TNO gebeten, den Status und die Entwicklung der niederländischen SSI-Landschaft zu untersuchen. Ihre Ergebnisse werden uns dabei helfen, unsere eigene Position zu SSI besser zu definieren und die Rahmenbedingungen zu klären."
Der Überblick über die SSI-Landschaft bestätigte den Eindruck, dass zahlreiche verschiedene Akteure mit SSI-Prinzipien, -Architekturen, -Infrastrukturen und -Technologien experimentieren. Jede Partei - teilweise in einem Cluster mit anderen Parteien - nutzt SSI, um den digitalen Datenaustausch in ihrem eigenen Bereich zu erleichtern. Beispiele hierfür sind verschiedene Initiativen, die den Zugang zu Arbeitszeugnissen, Diplomen und Zertifikaten während des Einstellungsverfahrens unterstützen. Bis zu einem gewissen Grad kann auch die Corona-Check-App als Beispiel herangezogen werden.
Während all diese Initiativen das Potenzial der SSI verdeutlichen, mangelt es immer noch an Kooperation und Kohärenz zwischen ihnen. Sterre den Breeijen (TNO): „Die Landschaft ist sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor zersplittert. Ein Hauptgrund dafür ist das Fehlen einer eindeutigen Definition der SSI. Die verschiedenen Parteien sind sich auch über den Nutzen und die Notwendigkeit von SSI uneinig: Geht es um die Verbesserung des Datenschutzes oder um Steigerung von Prozesseffizienz? Und gibt es nicht auch andere Möglichkeiten, diese Vorteile zu erreichen? Darüber hinaus gibt es widersprüchliche Ansichten über den besten technologischen Ansatz für die SSI: mit oder ohne Blockchain, sollte sie open-source sein oder nicht, und welche Standards sollten verwendet werden?“
BEDARF AN KLAREN SPIELREGELN
Neben nationalen Entwicklungen und Initiativen sollten die Auswirkungen der vorgeschlagenen Revision der eIDAS-Verordnung im Juni 2021 nicht unterschätzt werden; im Einklang mit dem SSI-Gedanken wird sie allen Bürgern und Unternehmen in der EU das Recht auf eine digitale EU-Identity-Wallet geben. Eefje van der Harst (Digital Identity Lead bei INNOPAY): "Die Marktteilnehmer sind sich nicht im Klaren darüber, wie die verschiedenen nationalen und internationalen Gesetze und Vorschriften zusammenhängen. Sie geben an, dass dies eines der größten Hindernisse für die Nutzung von SSI zur Schaffung von gesellschaftlichem Mehrwert ist. Sie finden es schwierig, festzustellen, wie zukunftssicher die Entscheidungen zur Umsetzung sind. Infolgedessen schieben sie ihre Investitionsentscheidungen hinaus und verlängern bewusst die Sondierungsphase.
In der Zwischenzeit haben Big Tech-Unternehmen wie Apple, Google und Microsoft ihre eigenen SSI-ähnlichen Wallet-Initiativen entwickelt, die sie umgehend auf den Markt bringen und skalieren werden. Viele der Befragten sehen in den Big-Tech-Unternehmen eine ernsthafte Bedrohung, insbesondere in Apple und Google, die über ihre App-Stores letztlich "kontrollieren", wie Mobiltelefone genutzt werden.
ROLLE DES STAATES
Die Studie zeigt, dass eine stärker konsolidierte SSI-Landschaft im Allgemeinen für alle am digitalen Datenaustausch Beteiligten positiver sein wird: Bürger, Unternehmen und die Regierung. Die Experten von INNOPAY und TNO kommen zu dem Schluss, dass die niederländische Regierung angesichts des gesellschaftlichen Werts des digitalen Datenaustauschs gut beraten wäre, die weitere Konsolidierung der SSI-Landschaft aktiv zu fördern. Ein erster Schritt sollte darin bestehen, eine Rolle bei der Schaffung einer stärker harmonisierten und interoperablen Landschaft spielen, indem sie die über 90 öffentlichen und privaten Parteien, die mit SSI experimentieren, zusammenbringt, damit sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen austauschen können.
Diese bewährten Praktiken sollten auch den Gremien in ganz Europa zur Verfügung gestellt werden, die derzeit an den Einzelheiten der digitalen Identitäts-Wallet der EU arbeiten.
RELEVANZ FÜR DIE DEUTSCHE SSI-LANDSCHAFT
Auch in Deutschland gibt es große Anzahl verschiedener SSI-Initiativen und -Lösungen – die meisten allerdings im Gegensatz zu den Niederlanden noch nicht produktiv am Markt. Um der Fragmentierung von vorneherein mit Interoperabilität zu begegnen, wäre auch hier eine Verständigung auf gemeinsame Standards sinnvoll. Auch der deutsche Staat, der selbst mit der „ID-Wallet“ einen Rückschlag erlitten hat, könnte hier eine moderierende Rolle einnehmen und die Industrie auf breiterer Basis in seine eigenen SSI-Initiativen einbinden. So rückt das Ziel eines florierenden, digitalen Ökosystems, ermöglicht durch SSI, in erreichbare Nähe.
INNOPAY unterstützt SSI-Initiativen dabei, sich strategisch zu positionieren und fördert den Austausch zwischen verschiedenen Akteuren. Darüber hinaus berät INNOPAY Unternehmen auch mit Best Practices zu SSI aus den Niederlanden, sowie zu den potentiellen Auswirkungen der eIDAS-Revision. Um Ihren individuellen Bedarf zu besprechen und zu erörtern, wie wir Ihnen helfen können, zögern Sie nicht, Mounaim Cortet - Director und Country Lead Germany, kontaktieren.